PETER HAHN | FOTOGRAFIE | FOTOBLUES.NET

ERINNERUNGSFETZEN ZU EICHTERSHEIM - Stories

ERINNERUNGSFETZEN ZU EICHTERSHEIM

Berlin
Niedergeschrieben im Mai 2018


Die ersten 12 Jahre im schönsten Haus im Dorf gewohnt. Gelb getüncht, zweigeteilt, in der Mitte eine Erinnerungstafel. Wer war Hecker?


Über das breite Holzgeländer rutschend nach unten zu Vaters Büro. Der Baron aus Oberösterreich soll kommen. Aufregung. Mutter muss in seinem Schloss die Wohnräume herrichten. Ankunft im Mercedes-Rennwagen. Sichtbare Eloquenz. Die Fledermäuse im Dachspeicher unseres Hauses schert das nicht. Ich presse mein Gesicht an das Fenster. Die Platanenallee vor Augen. Kann mich nicht daran satt sehen. Im Herbst kehre ich die Blätter zusammen. Im Sommer gefallen mir die Schlüsselblumen auf den nicht gemähten Wiesen des Schlossparks.

Wir Jungs spielen Murmeln. Erster Besitz in einem kleinen Säckchen. Doktor Sailer macht eine Schnur am Milchzahn und an der Türklinke seiner Praxis im Heckerhaus fest, schlägt die Tür zu, mein erster Zahn ist weg. Der Bus von Karlsruhe nach Wertheim fährt am Gasthaus Ritter vorbei. Gegenüber bei Frau Flach kaufe ich für 10 Pfennige eine Meringue, ein Schaumgebäck aus Eischnee und Zucker. Soll noch Brot beim Bäcker Krotz holen. Am Abend um 19 Uhr mit der Milchkanne mit ihren vielen Beulen am Ehrfurcht einflößenden Kriegerdenkmal zum Michhäuschen in der Frankenstraße. Wundersam - die Milch läuft über Rillen von oben nach unten. Bei Zeltmanns gegenüber steht Hubert vor der Tür, dessen großer Bruder der schnellste 100 Meter Läufer im Kreis sein soll.

Schuhkauf in Michelfeld. Die neuen Schuhe sind so hässlich wie meine Lederhose. Ich heule den ganzen Weg zurück nach Eichtersheim. Rutsche am nächsten Tag am leicht abschüssigen, nicht versiegelten Heckerplatz mit dem Roller und der Lederhose aus, direkt in die Pferdeäpfel. Das Desinfektionsmittel Jod brennt heute noch auf meinen Beinen.

Zu Fronleichnam werden auf der Hauptstraße gezupfte Blumenblätter phantasievoll ausgelegt. Bis die Prozessionsteilnehmer die vorwiegend religiösen Bilder wieder zertrampeln. Immer sonntags um 9 Uhr sitzt meine Mutter beim katholischen Hochamt in der benachbarten Pfarrkirche neben Babette Steinle, die kraftvoll und gekonnt in die Orgeltasten greift. Pfarrer Polcz hebt den Kelch und trinkt Wein, alle in der proppenvollen Kirche sind vom Weihrauch benebelt. Am Schluss des Gottesdienstes hält ein Messdiener allen Besuchern stets einen langen Stock mit einem Säckchen am Ende vor. Manchmal finden meine 10 Pfennige dort hinein. Bei der Feier der Ersten Kommunion wurde mir versichert, nun bist du auch ein Teil der Gemeinschaft. Ja Ja. Schwierig war die Beichte. Irgendetwas musste mir einfallen. Eine Lüge „kostete“ zwei Vaterunser.

Beim Ratsschreiber Schleckmann konnte ich zum ersten Mal in einer kleinen flimmernden Kiste ein wichtiges Fußballspiel sehen, das die Unsrigen aus Frankfurt gegen die Puskas und di Stefano‘s aus Madrid 3 zu 7 verloren. Was mich vielmehr grämte war, was in der Montagsausgabe der Rhein-Neckar-Zeitung stand. Der heimische TSV hatte in der B-Klasse mal wieder hoch verloren. Das Tabellenende war irgendwie programmiert. Ich selber kickte viel, drosch den Ball am Heckerplatz an die Schlossparkmauer und hoffte, dass der Sepp Herberger vorbei kommt und mich - begeistert von meinen Ballkünsten - gleich mitnimmt.

Beim jährlichen Schlachtfest bei Helmut Schleckmanns Eltern gab es Schweine, die ich später als warme Wurst essen sollte. Die Schwalben brauchten dies nicht, auch sie konnten die letzten Laute der quiekenden Stalltiere kaum ertragen und flogen weg. Aber es gab dort auch Veganes. Im Hochsommer, krampfhaft festhaltend am seitlichen Traktorsitz, ging es mit Herrn Schleckmann und seinem Sohn Helmut zur Zuckerrübenernte auf die Östringer Höhe. Graue, große, konisch zulaufende, unansehnliche Gewächse einsammeln, bei brütender Hitze. Und dann soll diese Rübe als Zucker in meine Tasse Tee? Oder sollte sie doch nur in die Suppe?

Eine Suppe gab es bei uns täglich. In einer große Terrine. Meine Mutter kochte fantastisch gut. Einmal im Jahr kam die Krauterin, die in einem großen Trog mit viel Kraftanstrengung feuchtklebriges stampfte, das dann gut gegart mit Kartoffeln und manchmal Rouladen auf den Mittagstisch kam. Fleisch essen war nicht Luxus, aber doch seltener als heute. Gab es sonntags pünktlich um 12 Uhr Kotelett, das meiner Wahrnehmung nach überwiegend aus Knochen, Gezerre und Fett bestand und das ich maximal zu 10 Prozent essen konnte, gab es unweigerlich Ärger. Denn zu essen war, was auf den Tisch kam, Basta! Vater hatte es ja teuer eingekauft, so sein Argument.

Geliefert wurden in jedem Jahr Unmengen von Kartoffeln, die im dunklen Keller ihren Platz fanden, in dem auch nicht wenige Mäuse und Ratten ihr Zuhause hatten. Fast jeden Morgen mit der Hand im Hühnerstall hinterm Haus in den strohverkackten Lege- und Schlafplatz der aufgeregten Hühner zu greifen, die sich gegen den Klau ihrer noch wohltemperierten Eier zu Wehr setzen, war keine nette Angelegenheit. Ich war froh, so schnell wie möglich wieder draußen an der frischen Luft zu sein.

Nicht wesentlich besser war, dass unser Müll mit damals noch viel Organischem weg musste. Dafür gab es in unserem Hof hinter der Kirche an der Mauer zum Bauern Jenne ein großes Loch. Rein damit. Wenn der Unrat mit der Zeit bedrohlich dem Gesichtsfeld näher kam, wurde er unter großem Getöse abgeholt. Von wem weiß nicht mehr. Ach ja. Die Hühner und der Hahn. Mein Vater hatte hier und da die Aufgabe von meiner Mutter erhalten, aus diesen Wesen etwas für den Sonntagsbraten bereitzustellen. Der Holzklotz, auf dem üblicherweise Holz für den Ofen gescheitelt wurde, hatte auch die Funktion einer Guillotine. Mit einer Axt wurde der Kopf eines Gefiedertieres vom Rest getrennt. Ein Bild werde ich nie vergessen: Ein gerade noch stolzer Hahn lief gefühlt stundenlang über den Hof - kopflos. Überhaupt ging man den Tieren viel ungenierter an den Kragen oder an das Schneckengehäuse. Scheinbar einträglich für uns Dorfkinder war das Sammeln von Weinbergschnecken. Ein voller Blecheimer brachte uns beim Schrotthändler an der Straße nach Östringen etwa eine Mark. Mit Beginn der 1970er Jahre haben nun die Häuslebauer in guter Wohnlage freie Sicht auf den hügeligen Kraichgau. Nur ein Straßenname erinnert noch an den Weinberg.

Hier und da verlies ich ohne Eltern mein Dorf. Nach Michelfeld traute man sich ja als Eichtersheimer nicht. Schaurige Geschichten wurden erzählt, was da einem alles widerfahren kann. Eine Mutprobe war der heimliche Ausflug zu Fuß mit Freunden nach Östringen. Ziel war das neue Schwimmbad mit seinen grünen, manikürten Rasenflächen. Das war sie, die moderne Zeit! Das Wasser schimmerte im Schwimmbecken blau. Nicht zu vergleichen mit dem Wasser des Angelbachs.

Apropos Fortschritt. Der war auch schon bei uns im Dorf angekommen. Denn mit dem Triebwagenbähnle der DEGB, die mehrmals täglich am Bahnhof hinter Marianne Trosts Haus anhielt, waren wir mit der Außenwelt verbunden. Eine Sonntagsrückfahrkarte nach Wiesloch vom 31. August 1958, die ich heute noch besitze, bezeugt dies. Allerdings war bekannt, dass es in Wiesloch - in unserem Jargon - eine Irrenanstalt gab. Diese Tatsache wurde bei Streitereien benutzt, um deutlich zu machen, wo der Kontrahent hingehöre. Das Kräftemessen der Dorfjugend, vorwiegend nach den Schulstunden, war ein grausames Ritual. Fast jeder kam einmal in den Sog dieser publikumswirksamen Raufveranstaltung, so auch ich.

An Sonntagen fühlte ich mich oft wie im November. Alles schien grau, bleierne Stille, nichts los. Kleine Fluchten waren die leider seltenen Besuche des Kinos, kurz vor Michelfeld. Cowboys und Indianer bestimmten um 14 Uhr das Programm. Die tapferen Rothäute verloren stets gegen die weißen Cowboys. Ein U-Boot-Film mit schlechtem Ausgang lässt mich immer noch erschaudern.

Noch heute ist es mir peinlich, dass ich die Abseitsregel im Fußball nicht kannte. Bei einem Spiel im Trikot des TSV - noch ohne Spielerpass - rannte ich für meine Mitspieler völlig unvermittelt in das Abseits, was dann zur Aberkennung eines gerade geschossenen Tores des TSV führte. Der Grund meines Verhaltens war simpel: Fälschlicherweise sah ich meinen Vater strammen Schrittes dem Sportplatz näher kommen. Er hatte mir untersagt, am Sonntag Fußball zu spielen, weil ich als katholischer Messdiener ein paar Wochen vorher eine sonntägliche Andacht um 14 Uhr geschwänzt und für den TSV gekickt hatte. Ein ernsthaftes Problem war hingegen, dass eines Sonntags eine Gewehrkugel aus Richtung Dorf einen erwachsenen gegnerischen Spieler versehentlich in die Milz traf.

Sonderbar, aber spannend anzusehen, die Dorfdurchfahrt von beigebraunen Jeeps mit einem aufgemalten Stern an der Fahrertür und auf der Kühlerhaube. Manchmal rollten in der Kolonne auch Panzer mit. Ich wusste, die vorwiegend freundlich dreinblickenden Soldaten waren „Amis“, die gerade den Krieg - gegen uns? - gewonnen hatten. Sie warfen uns manchmal schmackhafte Süßigkeiten zu. Aber nicht nur einmal hörte ich, dass wir das Naschwerk nicht annehmen sollten, da es vielleicht vergiftet sei! Manche Dorfbewohner waren wohl gedanklich noch in einer vor kurzem untergegangenen Zeit. Fakt ist, keiner der Kinder starb an den Karamell-Bonbons.

Wer kennt noch Kamuff, den fahrenden Gemüsehändler aus Mühlhausen? Einmal in der Woche kündigte er bimmelnd sein Kommen an. Direkt vor unserem Haus hielt er an, um sein Sortiment anzubieten. Ein Treffpunkt auch zum Dorftratsch.

Zweimal im Jahr entfaltete sich ein buntes Treiben, wie aus dem Nichts. Der Heckerplatz wurde von einer hektischen Unruhe erfasst. Der Aufbau einer Vielzahl kleiner, instabil wirkender, überdachter Verkaufsstände, einer Schießbude und als Krönung eines farbenfrohen Kettenkarussells begann. Letzteres - im Mittelpunkt des Platzes - bestand mosaikartig aus vielen bunten Einzelteilen, die langsam in Richtung Himmel wuchsen. Ich durfte manchmal beim Aufbau mithelfen. Dann der große Augenblick: das Wunderwerk begann sich zu drehen. Die Sitzreihen begannen zu fliegen. Nur die Helden hatten den Mut sich dieser Gefahr auszusetzen. Die Ängstlichen hatten ihr Kinderkarussell.

Am Autoscooter vernahm ich meine ersten englischen Worte in Form von „Schlagern“, die ununterbrochen den Pfingstmarkt bzw. die Kerwe beschallten. Große Jungs mit sonderbaren Frisuren standen dort lässig herum. Ich versuchte den Sinn dieser fremden Musiksprache zu verstehen: Rock around the clock? Ich wusste auch nicht, was mit dem häufig zu hörenden “Wenn Teenager träumen“ gemeint war. Teenager, was oder wer ist das? Peter Kraus? Elvis Presley, ein Deutscher?

Nach fachkundiger Beratung meines Freundes Felix Mildenberger erwarb ich kleine, schlanke Comic-Heftchen. Bildgeschichten, auch das war etwas Neues. Da „Tarzan“ schon ausverkauft war, lernte ich notgedrungen „Tibor“ „Sigurd“ und „Falk“ kennen. Der Abbau all dieser Fahrgeschäfte und Buden war ein trauriger Tag. Das turbulente Leben war beendet.

Mit dem Ranzen auf den Rücken ging es dann wieder durch das nahezu leblos wirkende Dorf zur Schule. Helmut 1, Helmut 2 und Felix holten mich meistens von zu Hause ab. Es gab immer viel zu erzählen. Mit dabei war in der ersten Klasse noch eine Tafel mit einem an der Schnur befestigten Griffel. Meine erste Klassenlehrerin war die einfühlsame Fräulein Keßler, ab der dritten Klasse war der weitaus strengere Herr Beckenbach unser Chef. Mein Mitsitzer auf der damals üblichen, leicht abgeschrägten Schulbank, war Helmut Schleckmann. Schule war anstrengend, aber auch aufregend. Ein Stück Freiraum, in dem man sich seine eigene Welt aufbauen konnte. Nicht mehr nur Oma, Verwandtschaft, Eltern umgaben einen. Übrigens: Der wichtigste Ort auf dem Schulhof war das Toilettenhäuschen. Eine Rinne war das Ziel.

Neben dem Hermannswäldchen war der überwiegend bewaldete Sonnenbuckel ein mysteriöser Ort, den man mit seinen Freunden erkundete. Wie zu hören war, sollten dort Schätze vergraben sein, die nur noch gefunden werden mussten. Trotz intensiver „Ausgrabungen“ - meistens mit Löffel und Taschenmesser - fanden wir im Erdreich nur kleine Dinosaurier, sprich Reste von Vogelknochen. Beliebt war die winterliche Schlittenfahrt vom Sonnenbuckel. „Aus der Bahn“ war dann der Schlachtruf im verschneiten Eichtersheim. Vor allem an der letzten Kehre ging es unorthodox zu. Die richtigen Buben fuhren mit dem Schlitten bäuchlings runter, nicht sitzend wie die Mädchen.

In Sichtweite des Schlosses gab es im Schlosspark zwei beliebte Treffpunkte für uns Jungs, an denen wir auch schon erste Kontakte zu den ansonsten fremden Wesen, dem weiblichen Geschlecht gleichen Alters, knüpften. Der eine Hotspot firmierte unter dem Namen Schaukelbaum, direkt daneben war der Kletterbaum. An beiden Orten konnte man sich den Blicken der Erwachsenen entziehen.

Mein 10. Geburtstag - der 1. Juni - war von dem Ereignis geprägt, dass ein von mir begehrtes Mädchen, dessen Name ich hier nicht verrate, laut Feststellung einiger Freunde vor unserem Haus stand und mir eine Tafel Schokolade überreichen wollte. Meine Kumpels machten sich darüber lustig. Für sie wäre es eine Schwäche gewesen, sich etwas von einem Mädchen schenken zu lassen. Ich war feige und ging solange nicht heraus bis sie weg war. Die Schokolade habe ich nie erhalten.

Unser großer Garten war Eden, das Paradies. Schon früh im Jahr sprießten Schneeglöckchen - manchmal lag sogar noch etwas Schnee. Eine Vielzahl Apfel- und Kirschbäume, Stachelbeeren- und Johannesbeeren-Sträucher standen uns zur Verfügung. Die von mir gepflückten roten Johannisbeeren zerdrückte ich im Teller mit Zucker und Milch. Ein kulinarisches Highlight. Noch heute läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Zunehmend vergrößerte sich im Garten die Fläche für die von meinem Vater mit viel Liebe gezüchteten Gladiolen, die er im Dorf verkaufte oder bei uns in einer großen Vase im Wohnzimmer präsentierte. Fest eingebrannt hat sich das Bild des früh im Jahr blühenden Magnolienbaums, der jedoch im Nachbargarten von Doktor Günter stand. Unerreichbar weit weg.

Das zu Hause von Felix war ein Ort des Durchatmens und des offenen Wortes. Das Häuschen der Späths am Eingang des schmalen Weges zum Fußballplatz, der eher einem gut gepflegten Acker glich, war ein Dreh- und Angelpunkt meiner Kindheit. Hier gab es am großen Küchentisch von der „Späthin“, der ungekrönten Herrscherin im Haus, immer etwas zum Naschen und Lachen. Im Garten bauten Felix, Helmut Hoffmann und ich kleine Teiche, wo wir Kaulquappen beheimateten und dann leider oft unhöflich behandelten.

Die Späths hatten auch ein Kasperle Theater mit allen notwendigen Handpuppen aus Holz. Kasperle, in seinem Wesen ehrlich aber einfältig, mit langer, roter Zipfelmütze, grinsendem Gesicht und langer Nase, hatte eine Klatsche aus Pappe. Bösewichte waren ein Zauberer, ein Krokodil als Ersatzdrache und selbstverständlich die Räuber. Felix und ich führten, frei von jedem Drehbuch, des Öfteren gut besuchte, aber derbe Theatervorführungen durch. Die größten Lacher gab es stets, wenn wir Kasperle mit seiner Klatsche ungehemmt auf fast alle Puppen einschlugen ließen.

Der von meinem Vater in Heidelberg gekaufte anthrazitfarbene Lloyd Alexander der Firma Borgward, auch Plastikbomber genannt, und wegen seines „heulenden“ Motorengeräusches oft verspottet, passte nicht in meine Vorstellung von einem Auto. Der Vater von Felix hatte doch einen angesagten VW-Käfer. Warum nicht wir? Oft fuhren wir mit unserem Auto, dessen Werksmotto „Ein Lloyd erfreut“ ich nicht teilte, nach Sinsheim. Über Eschelbach, dann schnaufend auf die Dührener Höhe, wo uns Fußgänger eigentlich hätten überholen können. Erschöpft machten wir dann jedes Mal einen Stopp an der FINA-Tankstelle beim „Bender“ am Ortseingang von Dühren. Das Ziel war die in Eichtersheim aufgewachsene Schwester meiner Mutter. Sie war die Frau des Eigentümers des Bekleidungshauses Kern. Folglich kam ich zumeist mit neuen, nicht immer meinen Vorstellungen, entsprechenden Kleidungsstücken zurück ins Dorf.

Eigentlich passierte immer etwas in unserem Dorf. Viele weitere Bilder sind mir noch im Gedächtnis: Da war das Waschhaus. Überall Wasserdampf. Die Gesichter der Frauen waren kaum zu erkennen. Gauguin hätte hier bestimmt seine Staffelei aufgestellt und ein Bild gemalt. Zügellose Pferde rannten auf dem Heckerplatz hin und her, bis sie wieder eingefangen wurden. Zurück von einem Besuch in Waldangeloch fuhr unser Dorfarzt hupend und „angeheitert“ über den Heckerplatz. Auch an eine Belehrung des Apothekers der „Ratzelschen“ Hofapotheke kann ich mich noch gut erinnern. Er verbesserte in strengem Ton meine Anrede an seine Frau: Nicht Frau Beisel, sondern „Frau Apothekerin Beisel“ sollte ich sie ansprechen.

Ja, es war eine andere Zeit. Die sich jedoch in meiner Erinnerung wie ein großer bunter Blumenstrauß darstellt.